Schweizerischer Verband für autonome Mobilität

Das Risiko neu denken: Wie autonome Fahrzeuge die Zukunft der Versicherung neu gestalten

Autonome Fahrzeuge zwingen die Versicherer dazu, ihre Risikodefinition und -bewertung völlig neu zu überdenken. Mit Daten, Simulationen und Zusammenarbeit entsteht eine neue Ära vorausschauender, transparenter und zuverlässiger Versicherungsmodelle.

Geschrieben von

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Raphaël Sauvain

Veröffentlicht am

BlogKollaboration, Podiumsgespräch, SAAM

Die Welt der Mobilität befindet sich in einem der größten Umbrüche seit einem Jahrhundert. In dem Maße, wie Fahrzeuge autonom, vernetzt und elektrisch werden, werden die traditionellen Vorstellungen vom Fahren und vom Risiko neu definiert. Für die Versicherer stellt dieser Wandel sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance dar: Wie bewertet man ein Risiko, wenn der "Fahrer" kein Mensch mehr ist?


Auf dem jüngsten SAAM in Zürich untersuchten Experten von Apollo ibott 1971 und Simulytic, wie sich die Versicherungsbranche auf diese neue Ära einstellen kann. Ihre Erkenntnisse zeigen, wie Daten, Simulationen und Zusammenarbeit der Schlüssel zum Aufbau von Vertrauen und zur Beschleunigung der sicheren Einführung autonomer Fahrzeuge (AVs) sind.

Von menschlichen Fahrern zu algorithmischen Entscheidungen

Jahrzehntelang haben sich Versicherungsmodelle auf das menschliche Verhalten verlassen. Die Prämien wurden anhand von Alter, Erfahrung, Wohnort und Fahrverhalten ermittelt - eine einfache Gleichung, die davon ausging, dass menschliches Versagen die Ursache der meisten Unfälle ist.


Bei autonomen Fahrzeugen bricht diese Logik zusammen. Es gibt keinen Fahrbericht, keine Reaktionszeit und keine Ablenkung. Stattdessen werden die Entscheidungen von komplexen Systemen aus Sensoren, Software und künstlicher Intelligenz getroffen. Die Verantwortung und das Risiko verlagern sich vom Einzelnen auf die Technologie selbst sowie auf das Ökosystem, das sie unterstützt: Hersteller, Betreiber, Datenanbieter und Infrastrukturbetreiber.


Diese Entwicklung zwingt die Versicherer dazu, ihr Kerngeschäft neu zu überdenken. Es geht nicht mehr darum, vorherzusagen, wie sich Menschen verhalten, sondern zu verstehen, wie Algorithmen unter bestimmten Bedingungen funktionieren.

Warum traditionelle Versicherungsmodelle nicht ausreichen

Laut Chris Moore, Leiter von Apollo ibott 1971, können herkömmliche Versicherungssysteme autonome Mobilität nicht ohne weiteres abdecken. Das Unternehmen, das seit einem Jahrzehnt AV-Risiken versichert, identifiziert vier grundlegende Fragen, die die Zukunft der Versicherung bestimmen:

  1. Wie wird die Versicherung verteilt?
  2. Wie wird das Risiko bewertet?
  3. Welcher Versicherungsschutz gilt?
  4. Wer ist eigentlich versichert?

Jeder dieser Bereiche erfordert einen neuen Ansatz, der datengestützt, flexibel und kooperativ ist.

Risikobewertung neu überdenken

Die erste Herausforderung liegt in der Risikomessung selbst. Ohne einen menschlichen Fahrer brauchen die Versicherer neue Indikatoren für Leistung und Sicherheit. An dieser Stelle wird das Konzept des Operational Design Domain (ODD) wesentlich.

Eine ODD definiert, wo und wie ein autonomes Fahrzeug sicher fahren kann, einschließlich Faktoren wie Geografie, Straßentyp, Verkehrsdichte, Wetter und Tageszeit. In diesem Sinne ist das Risiko nicht mehr universell, sondern kontextabhängig. Ein und dasselbe Fahrzeug kann in einem kontrollierten Industriegebiet ein geringes Risiko darstellen, in einer dichten städtischen Umgebung jedoch ein hohes Risiko.

Um dieses Problem anzugehen, hat Simulytic ein innovatives Modell namens AV Deployment Risk Score (AVDRS) entwickelt. Es nutzt digitale Zwillinge und KI, um Tausende von Fahrszenarien in einer virtuellen Version der realen Welt zu simulieren. So können Versicherer bewerten, wie sich ein autonomes System innerhalb seiner spezifischen ODD verhält, bevor es überhaupt auf die Straße kommt.

"Die Bewertung von AV-Risiken ist ohne Daten unmöglich", erklärt Andy Gill, COO und Mitbegründer von Simulytic. "Die Simulation hilft uns dabei, synthetische Fahrten zu erstellen und potenzielle Risiken zu erkennen, was den Versicherern die Möglichkeit gibt, faire und transparente Prämien festzulegen.

Neue Wege der Versicherung zeichnen sich ab

Apollo ibott schlägt mehrere mögliche Wege vor, wie sich der Versicherungsmarkt in der AV-Ära weiterentwickeln könnte.

1. Entwicklung der Risikobewertung
Versicherer können damit beginnen, bestehende Modelle anzupassen und Risikofaktoren hinzuzufügen, um eine Brücke von von Menschen gesteuerten Fahrzeugen zu autonomen Fahrzeugen zu schlagen, bevor sie zu völlig neuen Rahmenwerken übergehen, die auf AV-spezifischen Daten aufbauen.

2. Umwandlung der Deckung
Anstatt getrennte Policen für allgemeine Haftpflicht-, Kfz-, Cyber- und Produktrisiken zu führen, könnten die Versicherer eine einzige, einheitliche Haftpflichtpolice für autonome Fahrzeuge einführen, die alle Aspekte des AV-Betriebs abdeckt.

3. Versicherte Parteien
Anstatt dass jedes Unternehmen im AV-Ökosystem seine eigene Versicherung abschließt, könnte eine umfassende AV-Wrap-Police alle Beteiligten, Hersteller, Softwareentwickler, Flottenbetreiber und Dienstleister, unter einem Dach abdecken.

4. Vertriebsmodelle
Schließlich könnte sich auch die Art und Weise, wie Versicherungen verkauft werden, ändern. In Zukunft könnten Anbieter von AV-Software die Versicherung direkt in ihre Plattformen einbetten, so dass der Versicherungsschutz ein integriertes Merkmal der autonomen Mobilität wird.

Diese Veränderungen deuten auf eine Zukunft hin, in der die Versicherung nicht nur ein Finanzprodukt ist, sondern eine in das Mobilitäts-Ökosystem selbst integrierte Dienstleistung.

Daten und Simulation im Zentrum des Wandels

Simulationswerkzeuge wie AVDRS von Simulytic sind mehr als nur technische Innovationen, sie stellen eine neue Art des Vertrauensmanagements dar. Durch die Erstellung hyperlokaler, evidenzbasierter Risikobewertungen ermöglichen sie den Versicherern den Übergang von einer reaktiven Preisgestaltung (auf der Grundlage früherer Schadensfälle) zu prädiktiven und präventiven Modellen.

Mit synthetischen Telematikdaten, die von digitalen Zwillingen generiert werden, können Versicherer testen, wie Referenz-AVs auf bestimmte Straßenbedingungen, Wetterbedingungen oder Verkehrsszenarien reagieren. Dies bietet eine konsistente und transparente Grundlage für das Underwriting, die nicht von einem aufdringlichen Zugriff auf proprietäre Fahrzeugsoftware abhängt.

Das Ergebnis ist eine Win-Win-Situation: Die Versicherer können das Risiko genau beziffern, und die Hersteller können die Sicherheit ihrer Systeme nachweisen, ohne Geschäftsgeheimnisse preiszugeben.

Auswirkungen in der realen Welt

Diese Innovationen bewirken bereits etwas. Indem sie Technologieentwickler und Versicherer auf gemeinsame Datenrahmen abstimmt, schafft die Branche die Voraussetzungen für skalierbare, versicherbare AV-Einsätze.

Eine genaue Risikobewertung hilft den Versicherern, gerechtere Prämien anzubieten. Außerdem ermutigt sie die Hersteller, ihre Systeme auf der Grundlage messbarer Sicherheitsindikatoren zu verbessern. Im Laufe der Zeit wird dieser Kreislauf aus Daten, Rückmeldungen und Vertrauen von entscheidender Bedeutung für die Durchsetzung der Autonomie sein.

Vom Risiko zur Chance

Versicherungen sind seit jeher ein Instrument zur Bewältigung von Unsicherheit. Im Zeitalter der Autonomie kann sie zu einem Katalysator für den Fortschritt werden. Die nächste Generation von Versicherungsprodukten könnte dynamisch, nutzungsbasiert und eingebettet sein und Echtzeitbedingungen statt statischer Annahmen widerspiegeln.

Dieser Wandel wird nicht über Nacht geschehen. Er erfordert die Zusammenarbeit zwischen Versicherern, Technologieanbietern, politischen Entscheidungsträgern und Verbänden wie dem SAAM, die diese Akteure zusammenbringen, um Wissen zu teilen und einen gemeinsamen Rahmen zu schaffen.

Autonome Fahrzeuge lehren uns, dass Sicherheit, Vertrauen und Innovation Hand in Hand gehen. Die Versicherungsbranche hat eine einzigartige Rolle zu spielen, nicht nur beim Risikomanagement, sondern auch bei der Ermöglichung der zukünftigen Mobilität.

chris moore appollo ibott 1971 das versicherungsmodell im zeitalter der autonomen mobilität neu erfinden

Christopher Moore
Leiter von ibott, Apollo 1971

andy gill versicherungsmodell im zeitalter der autonomen mobilität konferenz des SAAM schweizerischer verband für autonome mobilität

Andy Gill
Mitgründer und COO, Simulytic

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Die Swiss Association for Autonomous Mobility (SAAM ) bringt Experten aus dem gesamten Ökosystem (Versicherer, Entwickler, Städte und Forscher) zusammen, um Erkenntnisse auszutauschen und konkrete Lösungen für die sichere Integration autonomer Technologien zu erarbeiten.


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