Wenn niemand am Steuer sitzt - wer hat dann die Kontrolle? Eintauchen in die Fernüberwachung mit Roland Scherwey und Raphael Murri

Die Fernüberwachung ist das Sicherheitsnetz hinter fahrerlosen Fahrzeugen, und die neue Verordnung über das automatisierte Fahren in der Schweiz enthält nun klare Regeln dafür. ASTRA hat soeben den Bericht "Mindestanforderungen für eine Bewilligung zum ferngesteuerten Fahren automatisierter Fahrzeuge in der Schweiz" veröffentlicht, der...

Geschrieben von

Raphaël Sauvain

Veröffentlicht am

21/05/2025
BlogBildung, Projekt

Die Fernüberwachung ist das Sicherheitsnetz hinter den fahrerlosen Fahrzeugen, und die neue Verordnung über das automatisierte Fahren in der Schweiz enthält nun klare Regeln dafür. ASTRA hat soeben seinen Bericht veröffentlicht "Mindestanforderungen für eine Bewilligung zum ferngesteuerten Fahren von automatisierten Fahrzeugen in der Schweiz"veröffentlicht, in dem aufgezeigt wird, wie viel Netzverzögerung ein Fernfahrer bewältigen kann, wie Fehlalarme herausgefiltert werden können und welche Fähigkeiten die Fahrer benötigen. SAAM hat sich mit den Projektleitern Roland Scherwey und Raphael Murri zusammengesetzt, um die wichtigsten Ergebnisse des Berichts zu erörtern. Die folgenden Fragen gehen auf die praktischen Erkenntnisse der Studie ein (von Latenzgrenzen bis hin zur Schulung des Fahrpersonals) und erläutern, wie sie sich in die Artikel 34-43 der Verordnung einfügen, damit Städte, Fuhrparkbesitzer und Regulierungsbehörden von Pilotprojekten zum alltäglichen Betrieb übergehen können.

1. Könnten Sie Ihr Projekt für unsere Leser kurz zusammenfassen? 

Am 1. März 2025 ist die Verordnung über das automatisierte Fahren (VAF/OCA) in Kraft getreten. Dieser Forschungsbericht konzentriert sich auf den dritten Anwendungsfall der Verordnung, der erstmals die Mindestanforderungen an Fernbedienungssysteme definiert, um den sicheren und zuverlässigen Betrieb von automatisierten Fahrzeugen zu gewährleisten. Dieser Anwendungsfall betrifft fahrerlose Fahrzeuge, die sich ohne Fahrer fortbewegen, aber gemäss der Verordnung in Echtzeit von einem in der Schweiz ansässigen Betreiber überwacht werden müssen. 

Diese Mindestanforderungen beziehen sich auf das automatisierte Fahrzeug, die Kommunikation, die IT-Sicherheit, den Arbeitsplatz des Bedieners und die Qualifikation der Fernbediener - siehe Abbildung 1. 

Fernüberwachung mit dem Fernbedienungssystem.
Abb. 1: Überblick über ein System zur Fernsteuerung (Remote Operation System)

Die wichtigsten Ergebnisse dieser Untersuchung: 

Fernüberwachung während der Prüfung des Fernbedienungssystems
Abbildung 2: Testaufbau LOXO Alpha und BFH Smartshuttle 
  1. Latenz-Toleranz: Verzögerungen von bis zu 850 ms beeinträchtigen die Manövrierfähigkeit bei niedrigen Geschwindigkeiten (max. 6 km/h) nicht. 
  2. Relevanz für das Szenario: Das Problem der falsch-positiven Hinderniserkennung wurde als kritisches praktisches Problem bestätigt, kann aber mit dem aktuellen LOXO und BFH-System gelöst werden. 
  3. Herausforderungen für die Betreiber: Gezielte Schulungen sind unerlässlich, um die hohen Latenzzeiten und komplexen Manöver zu bewältigen. 
  4. Taxonomie: Es wurde ein Klassifizierungssystem für fünf Fernsteuerungsebenen (Remote Operation Levels - ROL) entwickelt (siehe Abbildung 2), bei dem zwischen Überwachung, Fernunterstützung, Fernsteuerung, Fernkontrolle und Fahrer-Fernsteuerung unterschieden wird. Diese Unterscheidung ist entscheidend, um der hohen Komplexität und Variabilität realer Fahrsituationen gerecht zu werden und angemessen einzugreifen. 
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Abb. 3: Taxonomie für Fernsteuerungsebenen (Remote Operation Level, ROL) 

2. Wie trägt Ihr Projekt konkret zur Umsetzung der Verordnung über das automatisierte Fahren (VAF/OCA) bei? 

Die neue Verordnung (VAF/OCA) verlangt von den Betreibern, dass fahrerlose Fahrzeuge im Betrieb überwacht werden und bei Bedarf gezielt unterstützt oder in Ausnahmesituationen vorübergehend manuell gefahren werden können. Unser Projekt liefert die technischen und methodischen Grundlagen dafür und trägt zur Umsetzung der Verordnung bei, indem: 

  • Einführung einer strukturierten Taxonomie (ROL1-ROL5), die den in der Verordnung festgelegten Betreiberrollen entspricht, 
  • Festlegung praktischer Anforderungen an technische Zuverlässigkeit, Kommunikation, Cybersicherheit und menschliches Eingreifen, 
  • Bereitstellung von Validierungskriterien, um zu überprüfen, ob diese Systeme die VAF/OCA-Anforderungen erfüllen. 

Der Forschungsbericht stützt insbesondere die Artikel 34 bis 43 der Verordnung, die Verantwortlichkeiten, Qualifikationen und technische Voraussetzungen für den Betrieb von fahrerlosen Fahrzeugen definieren. Damit liefert das Projekt eine umfassende wissenschaftliche Grundlage für die behördliche Zulassung von Fernbedienungssystemen und bietet einen praktischen Leitfaden für alle Akteure der Branche. 

3. Welche technischen Herausforderungen haben Sie bei den Tests vor Ort am meisten beschäftigt?

Eine der größten Herausforderungen war der Umgang mit der Netzwerklatenz, insbesondere im Teleoperationsszenario (ROL2), bei dem der Bediener das Fahrzeug direkt steuert.

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Abb. 4: Definition der Latenzzeit

Unsere Tests haben gezeigt, dass Verzögerungen von bis zu 850 ms bei niedrigen Geschwindigkeiten (≤ 6 km/h) keinen signifikanten Verlust an Lenkpräzision verursachen. Dennoch ist eine gezielte Schulung des Fahrers unerlässlich, um mit einer solchen Latenz sicher umzugehen. 

Ein weiterer technischer Schwerpunkt war die Erkennung und Handhabung von Fehlalarmen durch Hindernisse. Diese Fehlalarme, z. B. ausgelöst durch Blätter oder Plastiktüten, konnten zu unnötigen Vollbremsungen führen. Durch die Abstimmung der Systemreaktionen und die Ermöglichung von Bedienereingriffen bei den LOXO und BFH-Testfahrzeugen konnten wir dies zuverlässig beheben. 

Bild 3
Abb. 5: Aufbau für den Test des "falsch-positiven" Szenarios - Hindernis installiert

Abbildung 5: Setup für Szenariotest "falsch positiv" - Hindernis installiert 

Darüber hinaus haben sich typische Probleme wie Sensorfehler bei schlechtem Wetter, vorübergehende Verbindungsabbrüche oder GNSS-Ungenauigkeiten in der Praxis als relevant erwiesen und wurden in unseren acht Testszenarien gezielt behandelt. 

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Abbildung 6: Ausgewählte Testszenarien

4. Haben Sie aufgrund der Ergebnisse Ihres Projekts technische oder rechtliche Anpassungen vorgeschlagen?

Der Bericht enthält sieben Schlüsselempfehlungen, die sowohl technische als auch regulatorische Aspekte betreffen und direkt zur Weiterentwicklung der VAF-Verordnung beitragen können: 

  1. Sicherheit als Kernprinzip:
    Die Gewährleistung stabiler Kommunikationsverbindungen, Echtzeitreaktionen und Redundanzmechanismen sollte im Mittelpunkt jeder Aktualisierung stehen. Die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer hat weiterhin oberste Priorität. 
  1. Szenarien weiterentwickeln:
    Bestehende Test- und Validierungsszenarien sollten kontinuierlich erweitert werden, um beispielsweise höhere Geschwindigkeiten, komplexe städtische Umgebungen oder extremere Wetterbedingungen abzudecken. 
  1. Integration von technologischen Fortschritten:
    Neue Technologien wie 5G, adaptives Streaming oder Edge Computing müssen in die Anforderungen einbezogen werden, um Skalierbarkeit und Systemstabilität auch in großen Flotten zu ermöglichen. 
  1. Optimierung des ROL2-Betriebs:
    Der Telebetrieb bei niedrigen Geschwindigkeiten erfordert Verbesserungen der Bedienerschnittstellen, der Reaktionslogik und der Ergonomie. Auch die psychologischen und kognitiven Anforderungen an die Bediener sollten stärker berücksichtigt werden. 
  1. Regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung:
    Anforderungen und Standards müssen ständig überarbeitet werden - sowohl im Hinblick auf technologische Innovationen als auch auf regulatorische Entwicklungen im In- und Ausland. 
  1. Schulung und Zertifizierung des Bedienpersonals:
    Strukturierte Schulungsprogramme mit praktischen Übungen, Simulationsszenarien und abschließender Zertifizierung sind erforderlich. Diese sollten sicherstellen, dass die Bediener auch in komplexen Situationen sicher handeln können. 
  1. Angleichung an internationale Normen:
    Nationale Vorschriften sollten an internationale Normen (z. B. UN R155, R156, ISO 16505) angeglichen werden, um Interoperabilität und Skalierbarkeit über Grenzen hinweg zu gewährleisten. 

Diese Empfehlungen unterstützen die konsequente Umsetzung der Artikel 34 bis 43 der VAF-Verordnung - Betreiberanforderungen, Systemzuverlässigkeit, Cybersicherheit und Betriebsgenehmigungen - und legen gleichzeitig die Grundlage für die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens. 

5. Wie sehen Sie die Entwicklung der erforderlichen Fähigkeiten für Fahrer von automatisierten Fahrzeugen?

Mit der Einführung von fahrerlosen Fahrzeugen im Rahmen der VAF entsteht ein neuer Beruf - der Remote Operator. Ihre Aufgaben und Anforderungen sind je nach Remote Operation Level (ROL) sehr unterschiedlich und reichen von der Überwachung bis zum gezielten Eingreifen. 

  • Bei ROL5 (Monitoring) kann ein Bediener mehrere Fahrzeuge gleichzeitig überwachen - ohne aktives Eingreifen. 
  • Bei ROL3-ROL4 (Tele-Assistenz) unterstützt der Betreiber gezielt bestimmte Entscheidungsprozesse, zum Beispiel bei unklaren Verkehrssituationen oder durch Vorschläge für alternative Routen. 
  • Bei ROL2 (Tele-Driving/Teleoperation) übernimmt der Bediener vorübergehend die manuelle Kontrolle über ein einzelnes Fahrzeug, z. B. um es aus einer Situation zu befreien, die es nicht selbständig lösen kann. Gemäß Art. 35 gilt der Betreiber während dieser Zeit als Fahrzeugführer. 

Die Fähigkeiten eines Operators müssen daher gezielt und stufengerecht entwickelt werden. Der Forschungsbericht empfiehlt daher die Einführung umfassender Ausbildungs- und Zertifizierungsprogramme für Fernlenkoperateure, die u.a. Folgendes beinhalten sollten: 

  • praktische Simulationen von Notfallszenarien, 
  • systematische Ausbildung in der Mensch-Maschine-Interaktion, 
  • und die obligatorische Zertifizierung, um ein hohes Maß an Sicherheit und Kompetenz zu gewährleisten. 

6.Welche neuen Herausforderungen ergeben sich für die Betreiber, wenn der Übergang vom Pilotbetrieb zur Skalierung fahrerloser Fahrzeuge im realen Betrieb erfolgt?

Mit der zunehmenden Verbreitung von fahrerlosen Fahrzeugen - dem dritten Anwendungsfall der Verordnung (VAF/OCA) - verändern sich die Herausforderungen für die Betreiber, wenn es um die Skalierung dieser Systeme geht. Die folgenden Aspekte stehen dabei im Mittelpunkt: 

Begrenzte Eingriffskapazität pro Bediener:
Während ein Operator der Stufe ROL5 mehrere Fahrzeuge überwachen kann, ist auf den Stufen ROL2 bis ROL4 - mit aktiver Unterstützung oder Teleoperation durch einen Remote-Operator - jeweils nur die Verwaltung eines Fahrzeugs möglich. Mit wachsenden Flotten entstehen organisatorische Engpässe, die durch Leitstellenkonzepte, Priorisierung und technische Hilfsmittel behoben werden müssen. 

Zunahme der Gesamtzahl komplexer oder unerwarteter Situationen:
Je mehr fahrerlose Fahrzeuge zum Einsatz kommen, desto größer wird der Bedarf an Fernbedienungsunterstützung, wenn Probleme wie Kommunikationsstörungen, schwierige Verkehrsszenarien, widrige Wetterbedingungen oder Fehlalarme auftreten. 

Skalierbare Kontrollraum-Infrastruktur:
Das Remote Operation Centre muss so ausgelegt sein, dass es auch bei großen Flotten und gleichzeitigen Supportanfragen stabil und zuverlässig arbeitet. Dies erfordert eine klare Rollenverteilung zwischen Fernbedienern und Disponenten, strukturierte Eskalationsprozesse sowie technische und personelle Redundanzen, um bei Störungen oder Lastspitzen flexibel reagieren zu können. 

Ergonomie und Arbeitsbelastung des Personals:
Mit dem höheren Fahrzeugaufkommen steigt auch die kognitive Belastung des Personals - sei es bei Entscheidungen unter Zeitdruck, bei der Bewältigung der Informationsflut oder bei der Stressbewältigung. Hier sind sowohl technische Unterstützung (z.B. mehr automatisierte Vorschläge oder Assistenzsysteme) als auch gezielte Schulungen und organisatorische Entlastungen notwendig. 

7. Welche Art von Schulung und Zertifizierung wird für die Betreiber erforderlich sein, um kritische Situationen effektiv zu bewältigen?

In der Schweiz gibt es bisher noch keine einheitliche, gesetzlich vorgeschriebene Standardausbildung. In inzwischen abgeschlossenen Projekten wurden jedoch erste wichtige Grundlagen geschaffen: 

  • Im Rahmen des TaaS-Projekts (Transport as a Service) wurde ein Schulungskonzept für Remote Operators entwickelt. 
  • Im Rahmen der Pilotprojekte Migronomous und Dynamic Micro-hub haben bereits erste Schulungen und operative Einsätze stattgefunden. 

Für den sicheren und rechtskonformen Betrieb von fahrerlosen Fahrzeugen im Rahmen der VAF/OCA-Verordnung sind umfassende, strukturierte Ausbildungs- und Zertifizierungsprogramme für Remote Operators erforderlich. In unserem Forschungsbericht empfehlen wir, dass ein solches Programm die folgenden Elemente, angepasst an jede Fernbedienungsebene (ROL), umfasst: 

  • Praktische Simulationen realer Notfallszenarien, wie z. B. Kommunikationsausfälle, falsche Hinderniserkennungen oder ODD-Verletzungen 
  • Vertiefte Kenntnisse über Fahrzeugsysteme, Schnittstellen, Sensoren und Teleoperationstechnologien 
  • Kenntnis des geltenden Rechtsrahmens, insbesondere der VAF (z. B. Artikel 34-38 über Betreiberpflichten und Fahrkompetenz) 
  • Schulung in menschlichen Faktoren, einschließlich Reaktionssicherheit, Stressbewältigung und situative Entscheidungsfindung unter Unsicherheit 
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Abbildung 7: Aufgaben und Rollen in Remote-Operation-Systemen (Remote Operation System)

Regelmäßige Auffrischungskurse und Rezertifizierungen werden empfohlen, um mit den sich weiterentwickelnden technischen und rechtlichen Anforderungen Schritt zu halten. 

8. Welches sind die wichtigsten technologischen Einschränkungen, die den Einsatz von automatisierten Fahrzeugen in der Schweiz noch behindern?

Der Einsatz von fahrerlosen Fahrzeugen in der Schweiz im Rahmen der VAF/OCA-Verordnung wird derzeit weniger durch grundsätzliche technologische Lücken als vielmehr durch reale betriebliche Anforderungen und Skalierungsprobleme gebremst. Drei Punkte sind dabei besonders zentral: 

  1. Konnektivität:
    Eine stabile, robuste Datenverbindung zwischen einem automatisierten Fahrzeug und dem Remote Operation Centre ist Voraussetzung für Fernüberwachung und Teleoperation. In der Praxis behindern jedoch Lücken in der Netzabdeckung, fehlende QoS-Garantien und Grenzen des mobilen Datenvolumens einen durchgängig zuverlässigen Betrieb. Unsere Forschung empfiehlt daher den Einsatz adaptiver Streaming-Strategien und dynamischer Ressourcenzuweisung, um die Uplink-Kapazität effizient zu nutzen.
     
  1. Systemleistung unter realen Bedingungen:
    Obwohl die getesteten Fahrzeuge in Szenarien wie falsch-positiven Hinderniserkennungen oder GNSS-Störungen eine robuste Leistung zeigten, bleibt die Systemzuverlässigkeit unter variablen Umwelt- und Verkehrseinflüssen eine zentrale Herausforderung. Regelmäßige Aktualisierungen der Szenarien und Teststrategien sind erforderlich, um neue betriebliche Anforderungen frühzeitig zu berücksichtigen.
     
  1. Beschränkungen im ROL2-Betrieb (Tele-Drive/Teleoperation):
    Die Tests zeigten eine gute Latenztoleranz, so dass Teleoperationen bei niedrigen Geschwindigkeiten grundsätzlich möglich sind. Neben der Konnektivität stellen jedoch die Gestaltung der Fernbedienungsschnittstellen und die kognitiven und ergonomischen Anforderungen an die Bediener weitere Hürden dar. Gezielte Entwicklungen sowohl auf der System- als auch auf der Mensch-Maschine-Ebene sowie eine spezielle Ausbildung werden erforderlich sein. 

9. Welche weiteren technologischen Entwicklungen sind notwendig, um die Zuverlässigkeit der Fernsteuerung von automatisierten Fahrzeugen zu gewährleisten?

Diese Frage geht etwas über den ursprünglichen Rahmen dieser Forschungsarbeit hinaus. Auf der Grundlage unseres Projekts und aktueller Trends lassen sich mehrere Schlüsselbereiche identifizieren, in denen technologische und regulatorische Fortschritte für die Verbesserung der Zuverlässigkeit von Fernsteuerungssystemen für automatisierte Fahrzeuge entscheidend sein werden: 

Fortschritte in der Sensorik und Umweltwahrnehmung:
Die Weiterentwicklung von Sensoren (Reichweite, Auflösung, Empfindlichkeit) und die intelligente Zusammenführung von Daten aus LiDAR, Radar, Kameras und GNSS werden ein robusteres Situationsbewusstsein auch unter widrigen Bedingungen ermöglichen. 

Forschung und Entwicklung für Remote Operation Centres:
Als Brückentechnologien zwischen manuellem und vollautomatisiertem Fahren sind Teleoperation und Teleassistenz innerhalb von Remote Operation Centres unverzichtbar, um betriebliche Lücken zu schließen - zum Beispiel in unklaren Situationen. Zukünftig könnte KI die Entscheidungsfindung von Fernfahrern durch automatische Risikobewertungen, Handlungsempfehlungen oder Fahrzeugpriorisierung in fahrzeugübergreifenden Konstellationen unterstützen. 

Entwicklung der Kommunikationsnetze:
Netze, die eine garantierte Dienstqualität, redundante Übertragungskanäle und eine intelligente Verkehrsüberwachung bieten, werden unerlässlich sein, um latente Unterbrechungen, Latenzspitzen und Versorgungsschwankungen frühzeitig zu erkennen und auszugleichen. Adaptives Streaming und dynamische Ressourcenzuweisung werden auch für den Betrieb großer Flotten entscheidend sein. 

Das Projekt empfiehlt auch die Einrichtung eines nationalen Governance-Rahmens zur kontinuierlichen Bewertung und Integration von Normen und Entwicklungen. Ziel ist es, die VAF/OCA-Anforderungen mit der technischen Praxis durch klare Verfahren für die Genehmigung, Weiterentwicklung und Bewertung in Einklang zu bringen. 

10. Tests haben gezeigt, dass Latenzen von bis zu 850 ms bei Geschwindigkeiten von bis zu 6 km/h kein Problem darstellen. Wie sieht es mit höheren Geschwindigkeiten aus?

Tests mit den LOXO und BFH-Fahrzeugen zeigten, dass Latenzen bis 850 ms bei Geschwindigkeiten bis zu 6 km/h im ROL2-Betrieb (Fernsteuerung/Telebetrieb) von den Fernbedienern als praktikabel beurteilt wurden. Auch bei 1000-1250 ms blieb die Manövrierfähigkeit im Wesentlichen erhalten, erforderte aber eine höhere Konzentration. 

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Abbildung 8: Slalom-Teststrecke mit Testergebnissen
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Abbildung 9: Parktests mit Testergebnissen

Im Allgemeinen wird die Latenzzeit bei höheren Geschwindigkeiten kritischer, da sich das sicherheitskritische Zeitfenster für Eingriffe verkleinert. Es ist jedoch wichtig zu unterscheiden: 

  • ROL3-ROL5 (Tele-Assistenz zur Überwachung): Die Bediener steuern das Fahrzeug nicht direkt, so dass die Latenzzeit praktisch keine Auswirkungen auf die Sicherheit hat. 
  • ROL2 (Fernsteuerung/Fernbedienung): Dieser Modus ist nicht für den Dauerbetrieb gedacht, sondern um ein Fahrzeug aus Situationen zu befreien, die es nicht selbst lösen kann (z. B. ein Engpass oder ein unklares Hindernis). In solchen Fällen kann die Geschwindigkeit auf 6 km/h begrenzt werden, was Tests zufolge eine sichere Fernsteuerung mit einer Latenzzeit von bis zu 850 ms ermöglicht. 

Derzeit gibt es keine erprobten Konzepte für höhere Geschwindigkeiten in ROL2, da diese mit einem erhöhten Risiko verbunden wären. 

11. Die Erkennung von falsch-positiven Hindernissen wurde als kritisches Problem erkannt. Bietet Ihr Projekt eine Lösung?

Ja - im Rahmen des Forschungsprojekts wurde die Erkennung von falsch-positiven Hindernissen speziell in Szenario 8 ("False Positive") behandelt.

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Abbildung 10: Szenario 8 - Behebung einer "falsch-positiven" Hinderniserkennung mit ROL2

In diesem Szenario haben wir die Reaktion des Systems getestet, wenn harmlose Objekte wie Äste oder Plastiktüten fälschlicherweise als Hindernisse klassifiziert werden und eine automatische Notbremsung (AEB) auslösen. Diese Tests zeigten, dass: 

  • Beide Testfahrzeuge erkannten solche Objekte zuverlässig und führten die Notbremsung wie vorgesehen durch. 
  • Operators then used ROL2 teleoperation—either by steering around the object or slowly driving over it (< 1 km/h)—to resolve the situation safely. 
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Abbildung 11: Szenario 8 - "Bypassing"-Lösung im Test der falsch-positiven Hinderniserkennung mit dem BFH-Fahrzeug
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Abbildung 12: Szenario 8 - "Bypassing"-Lösung im Test der falsch-positiven Hinderniserkennung mit dem LOXO
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Abbildung 13: Szenario 8 - "Überfahren"-Lösung im Test der falsch-positiven Hinderniserkennung mit dem LOXO

Beide Ansätze wurden als praktikabel und sicher eingestuft und könnten in Zukunft zum Standard werden. Die Projektergebnisse zeigen deutlich, dass die Kombination aus automatischer Erkennung und gezielten Fernbedienungseingriffen ein vielversprechender Weg ist, um Unsicherheiten in städtischen Umgebungen sicher und effizient zu bewältigen und damit die Betriebsstabilität und die öffentliche Akzeptanz automatisierter Fahrzeuge zu erhöhen. 

12. Welche Rolle spielt die im Projekt entwickelte Taxonomie der Remote Operation Levels (ROL) bei der Umsetzung der VAF-Verordnung? 

Die im Projekt entwickelte fünfstufige Taxonomie der Remote Operation Levels (ROL1-ROL5) ist ein zentrales Ergebnis und bildet eine methodische Brücke zwischen Technologie, betrieblicher Praxis und Regulierung.

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Abbildung 14: Taxonomie der Fernsteuerungsebenen (Remote Operation Level, ROL)

Es unterscheidet klar zwischen Überwachung (ROL5), Assistenz (ROL3-4), direktem Fernsteuern (ROL2) und lokaler Fernsteuerung (ROL1). Dabei unterstützt es: 

  • die genaue Definition der Eingriffsbefugnisse des Fernbetreibers, 
  • die Zuweisung von Zuständigkeiten, wie sie in der VAF-Verordnung (Artikel 34-36) vorgesehen ist, 
  • und die Gestaltung von Ausbildungs-, Zertifizierungs- und Betriebskonzepten.
    Die Taxonomie wurde auf der Grundlage von Szenarien entwickelt und validiert, kann flexibel an verschiedene Fahrzeugtypen und Anwendungsfälle angepasst werden und bietet ein praktisches Instrument zur Erfüllung der VAF-Anforderungen. 

13. Welches Potenzial haben Remote-Operation-Systeme zum Beispiel in der Logistik, der Industrie oder der Landwirtschaft? 

Remote-Operation-Systeme bieten ein großes Potenzial, zum Beispiel: 

Logistik auf der letzten Meile: Unterstützung von automatisierten Lieferfahrzeugen bei komplexen Manövern in städtischen Gebieten. 

Industrie- und Campuslogistik: Betrieb von automatisierten Fahrzeugen auf Privatgrundstücken oder in sicheren Umgebungen - ideal für ROL3-4. 

Landwirtschaft: Überwachung und gelegentliche Fernsteuerung von automatisierten Maschinen, z. B. bei Hindernissen, Störungen oder schwierigem Gelände. 

Die Kombination von hoher Automatisierung mit gezielten menschlichen Eingriffen (Teleoperation oder Assistenz) ermöglicht einen wirtschaftlich sinnvollen Einsatz auch dort, wo eine vollständige Automatisierung des Fahrzeugs noch nicht möglich ist. 

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Abbildung 15: Automatisierte Güterzustellung auf der letzten Meile - AnwendungsfallLOXO)

14. Welche Bedeutung haben nationale Plattformen wie der SAAM oder SwissMoves für die weitere Entwicklung der automatisierten Mobilität? 

Verbände wie der SAAM und SwissMoves leisten einen wichtigen Beitrag zur Förderung der automatisierten Mobilität in der Schweiz: 

  • Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen Behörden, Forschung und Industrie, 
  • Ermöglichung und Vernetzung von Pilotprojekten (z. B. mit LOXO, TaaS oder dem Swiss Transit Lab), 
  • und die Bereitstellung eines Forums für den Wissensaustausch.
    In diesem Projekt unterstützten sie nicht nur die inhaltliche Arbeit, sondern sorgten auch dafür, dass die Ergebnisse praktisch und interoperabel sind und mit der Umsetzung der VAF/OCA-Verordnung in Einklang stehen. 

15. Welches Potenzial sehen Sie für ein nationales Ausbildungs- und Zertifizierungssystem für Fernlenkoperatoren? 

Das Potenzial ist sehr groß - und aus Sicht des Projekts auch dringend notwendig. Mit der Einführung von fahrerlosen Fahrzeugen im Rahmen der VAF/OCA-Verordnung entsteht ein neues Berufsbild des Remote Operators, das klar definierte Kompetenzen und eine solide Ausbildung erfordert. Der Forschungsbericht empfiehlt daher: 

  • Entwicklung standardisierter Schulungsprogramme, einschließlich praktischer Simulationen und rechtlicher Grundlagen, 
  • sowie obligatorische Zertifizierungen, die auf die einzelnen ROL-Stufen zugeschnitten sind.
    Erste Schritte wurden bereits im Rahmen des TaaS-Projekts (Ausbildungskonzept) und durch Pilotprojekte mit LOXO (Migronomous und Dynamic Micro-hub) unternommen. Ein nationales Zertifizierungssystem würde dazu beitragen, einheitliche Qualitätsstandards zu etablieren und das Vertrauen in den Fernbetrieb zu stärken. 

16. Inwieweit kann die Telearbeit als Brückentechnologie dienen, um bestehende operative oder infrastrukturelle Lücken zu schließen? 

Die Teleoperation (ROL2) kann betriebliche Lücken schließen, wo die Automatisierung noch nicht ausreichend zuverlässig ist. In Kombination mit der Überwachung (ROL5) und der Teleassistenz (ROL3-4) ist die Teleoperation (ROL2) eine Schlüsseltechnologie für den Übergang vom manuellen zum vollautomatisierten Fahren und kann daher Lücken in noch nicht vollständig zuverlässigen Systemen schließen. 

17. Wie wurde die Cybersicherheit in das Projekt integriert, und welche Methoden wurden zur Bewertung und Prüfung der Anforderungen verwendet? 

Die Cybersicherheit wurde durch die Einhaltung von Standards wie der UNO-Regelung Nr. 155, ISO/IEC 27001:2024, ISA/IEC 62443, dem Schweizer ICT-Mindeststandard und dem Bundesdatenschutzgesetz integriert. Diese Standards tragen dazu bei, die Anforderungen an die Cybersicherheit zu erfüllen und können auf verschiedene Weise validiert werden: 

  • Prozessanforderungen durch organisatorische Audits gegen bestimmte Normen oder Vorschriften. 
  • Technische Anforderungen auf mehreren Ebenen, von Einheitstests bis zu Integrationstests, Bewertung der Interaktion von Komponenten. 
  • Erweiterte Tests wie Fuzzing oder Penetrationstests (Pen-Tests). 
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Abbildung 16: Cybersecurity-relevante Elemente des Fernbetriebs (blau)

Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden 80 der 193 definierten Cybersicherheitsanforderungen durch Pen-Tests validiert, die nach Rahmenwerken wie der Cyber Kill Chain, MITRE ATT&CK, OWASP und ISA durchgeführt wurden. Die Tests konzentrierten sich auf das LOXO Alpha 1-Fahrzeug und seine LOXO TCC-Fernsteuerungsstation, um die spezifischen Cyber-Risiken von Fernsteuerungssystemen zu untersuchen. 

Die Methodik simulierte einen Angreifer, der es auf die äußeren, inneren und physischen Grenzen des LOXO Alpha 1 und der Kontrollstation abgesehen hatte. Die Ziele waren: 

  • Die Fernbedienungsstationen kompromittieren, 
  • Übernehmen Sie die Kontrolle über eines der automatisierten Fahrzeuge, 
  • Ermittlung von Schwachstellen in der Sicherheitskonzeption der Fahrzeuge.
    Diese Tests trugen dazu bei, die Robustheit und Vollständigkeit der Cybersicherheitsanforderungen zu validieren und die Einhaltung der internationalen Normen zu gewährleisten. 

18. Wer kann Behörden oder Betreiber bei der Umsetzung der neuen Verordnung (VAF/OCA Section 3: Driverless Vehicles) kompetent unterstützen? 

Das Forschungskonsortium (HEIA-FR/ROSAS, BFH, DTC Dynamic Test Centre AG, CertX SA, Eraneos Switzerland AG, LOXO AG) sowie die Verbände SAAM (Schweizerischer Verband für autonome Mobilität) und SwissMoves verfügen über das Fachwissen und die praktische Erfahrung, um die Umsetzung von Abschnitt 3 (fahrerlose Fahrzeuge) der Verordnung aktiv zu begleiten. Sie können helfen bei: 

  • Verwaltung der Genehmigungsverfahren im Rahmen des VAF/OCA, 
  • technische Bewertung von Fernsteuerungssystemen, 
  • strategische Beratung bei der Integration dieser Systeme in den regulären Betrieb, 
  • Schulungs- und Zertifizierungskonzepte für Betreiber. 

Welche konkreten Erkenntnisse haben Sie bei der Erprobung verschiedener Arten von automatisierten Fahrzeugen (z. B. für den Güter- und Personenverkehr) gewonnen? 

In unseren Versuchen haben wir verschiedene automatisierte Fahrzeugtypen eingesetzt, um realistische und vielfältige Anwendungsszenarien abzudecken. Mit dem automatisierten Fahrzeug LOXO konnten wir die Herausforderungen im autonomen Gütertransport eingehend untersuchen, während wir mit dem autonomen Shuttlebus der BFH die Anforderungen an den automatisierten Personentransport adressieren konnten. 

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Abbildung 17: Automatisierte Zustellung von Gütern auf der letzten Meile - Anwendungsfall LOXO

Wesentliche Unterschiede ergaben sich bei den Sicherheitsanforderungen: 

  • Im Güterverkehr stehen Ladungssicherung, zuverlässige Hinderniserkennung und Systemverfügbarkeit im Vordergrund. 
  • Die Personenbeförderung erfordert eine besonders zuverlässige und frühzeitige Gefahrenerkennung, reibungslose Fahrmanöver und umfassende Sicherheitsmaßnahmen für die Insassen. Der Telebetrieb im Personenverkehr erfordert auch eine stärkere Berücksichtigung psychologischer Faktoren, da die Fahrgäste Vertrauen in den Fahrstil und die Sicherheit des Systems aufbauen müssen. 
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Abbildung 18: Personenbeförderung auf der letzten Meile mit automatisierten Shuttles - Anwendungsfall BFH

Elektromobilität - Das fehlende Glied im öffentlichen Verkehr - Renew Infrastructure, Image

Unsere Tests haben auch gezeigt, wie wichtig die Erfahrung und die Fähigkeiten der Bediener sind. Sowohl Claudio Panizza von LOXOals auch Ahmed Hanachi von der BFH - beide erfahrene Teleoperatoren und Projektleiter - waren maßgeblich daran beteiligt, kritische Situationen sicher zu bewältigen und aussagekräftige Erkenntnisse für die Weiterentwicklung von Fernbedienungssystemen zu gewinnen. 


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